Ursula Girreßer ist eine Koryphäe der Ernährungswissenschaft. Sie hat schon Olympiasieger und Weltmeister in Ernährungsfragen betreut und eines der größten Ernährungsinstitute Deutschlands – das ESG Institut für Ernährung – gegründet. Die Diplom-Oecotrophologin berät Unternehmen im Betriebs- und Gesundheitsmanagement, Krankenkassen, mehrere Olympiastützpunkte, Spitzensportler und Einzelpersonen rund um das Thema Ernährung. Wir haben sie zur ketogenen Ernährung befragt. Unser Interview beginnt sie herzlich und rheinländisch mit einer witzigen Beobachtung.
Ursula Girreßer: Nicht selten sind es übergewichtige Männer, die an der ketogenen Diät interessiert sind. Kurz vor ihrer Hochzeit stellen sie fest, dass sie noch einige Kilo abnehmen wollen, damit sie in ihren Kött passen.
Lykon: Schaffen sie es?
Ursula Girreßer: Schon. Am Altar sind sie ganz stolz, dass es geklappt hat. Aber nach dem Ja-Wort läuft es dann schnell aus dem Ruder…Bei kaum einer anderen Diät ist der Jojo-Effekt größer.
Lykon: Was isst man bei der ketogenen Ernährung?
Ursula Girreßer: Bei der ketogenen Ernährung wird die Kohlenhydratzufuhr auf einen Anteil von maximal 5 % beschränkt. Zu etwa 75 % besteht die Ernährung aus Fetten und die restlichen 20 % sind dementsprechend Proteine. Sie essen also sehr viel Fleisch, Fisch, Milchprodukte, Nüsse, Avocados, kohlenhydratarmes Gemüse wie Gurke, Zucchini und alle Kohlarten. Und natürlich kein Brot und keine Pasta. Auch auf Fertigprodukte, Süßigkeiten und Alkohol wird verzichtet.
Lykon: Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung empfiehlt einen Kohlenhydratanteil von mindestens 50 %. Was passiert im Körper, wenn er so gut wie nichts mehr davon bekommt?
Ursula Girreßer: Der Körper stellt seinen Stoffwechsel komplett um. Aus den Fetten werden in der Leber sogenannte Ketonkörper gebildet. Diese Ketonkörper nehmen den Platz der Glucose ein und versorgen fast alle Organe mit Energie. Dieser Zustand wird Ketose genannt.
Lykon: Wie lange dauert es bis der Körper sich umgestellt hat?
Ursula Girreßer: Ketonkörper stellen schon nach einigen Tagen der Umstellung eine wichtige Energiequelle dar. Bis der Stoffwechsel sich komplett umgestellt hat, dauert es etwa 2-3 Wochen.
Lykon: Welche Vorteile hat die ketogene Ernährung?
Ursula Girreßer: Der Vorteil ist, dass Sie relativ schnell abnehmen. Und durch die Aufnahme von ausreichend Fett und Eiweiß müssen Sie nicht hungern. Für Diabetiker ist zudem interessant, dass sie ihren Blutzuckerspiegel konstant halten können.
Lykon: Und Nachteile?
Ursula Girreßer: Also zunächst einmal kommt es darauf an, welche Fette Sie zu sich nehmen. Wenn Sie in der Kantine statt Pommes frites und Currywurst nun drei Currywürste essen und dafür die kohlenhydrathaltigen Pommes frites weglassen, werden Sie mit hoher Wahrscheinlichkeit schnell bedenkliche Blutfettwerte haben. Auf Dauer führt eine Ernährung mit solch ungesunden Fetten zu Ablagerungen in den Arterien, wodurch das Schlaganfallrisiko steigt. Außerdem kann es zu einem Mineralstoff- und Vitamindefizit kommen. Insbesondere bei Vitamin C, Folsäure und Kalium.
Lykon: Wie merke ich das?
Ursula Girreßer: Nun, Sie spüren das möglicherweise durch einen Leistungsabfall, durch Müdigkeit und eine geringe Stressresistenz. Aber auch Übelkeit und Appetitlosigkeit. So ein Mikronährstoffdefizit ist die Basis für viele weitere Erkrankungen. Sie sollten auf jeden Fall Ihre Blutwerte im Auge behalten und dementsprechend Nahrungsergänzungsmittel zu sich nehmen.
Lykon: Hand aufs Herz. Empfehlen Sie eine ketogene Ernährungsform?
Ursula Girreßer: Ich möchte betonen, dass die ketogene Ernährung eine spezielle Diätform ist. Bei Kindern mit Epilepsie kann sie helfen oder bei Demenz. Das verlässt jedoch mein Fachgebiet und sollte von einem Arzt abgeklärt werden. All jene, die kerngesund sind, und nur ein paar Kilo abnehmen wollen, müssen selbst entscheiden, ob ihnen die Ernährung guttut. Denn damit verbunden ist ein recht großer Einschnitt der Lebensqualität. Vor allem aber muss eine ausreichende Auseinandersetzung mit dem Thema stattfinden, da hier bewusst eingekauft und gegessen werden muss. Auf jeden Fall sollten Sie auf hochqualitative Lebensmittel achten und darauf, dass kein Nährstoffdefizit entsteht. Für eine langfristige Gewichtsabnahme empfehle ich die ketogene Ernährung nicht unbedingt.